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Brüssel, muinthecity, 2015

Muriel de Crayencour

 

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Kölner Stadtanzeiger, 2015
Frank Olbert

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Wolfgang Zumdick, 2014

Catalogue to the exhibition : Hilma af Klint - A Pioneer of Abstraction:  "The Art of Seeing the Invisible"  in Moderna Museet in Stockholm, Sweden Hamburger Bahnhof in Berlin, Museum of Modern Art in Luisiana, Denmark

"Finding the inner Form"
Pathway to Hilma af Clint’s Change From Outer to Inner Experience

 

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Kurzer Text über die Malerei von Christine Reifenberger

(scroll down for english)

 

Über die langjährige Beobachtung von Naturphänomenen ist in die Bildsprache von Christine Reifenberger eine intensive Beschäftigung mit dem Zyklischen, dem Wachstum und der Auflösung eingegangen.

 Das Flüchtig-Bewegte, das sich in einem Moment der höchsten Konzentration zum Bild verdichtet, reflektiert die in der Malerei von Christine Reifenberger dominierenden Aspekte von Licht, Geste, Raum und Materialität. Die Malerin "bewegt" das Papier zusammen mit der Farbe aus dem Moment heraus. Dies geschieht in einem Akt der Form und Farbsetzung. Papierarbeiten werden im malerischen Prozess zu Fragmenten und plastischen Gebilden. Zerstörung und Auflösung des Papiers wird dabei in Kauf genommen und zum bildnerischen Element. Durch Wölbungen, Drehungen und Faltungen werden sie zu Objekten. Malerei ist so Form gewordenes fluides Material, Momentaufnahme eines Zwischen-zustandes, scheinbar jederzeit bereit, sich zu bewegen, sich aufzulösen oder zu transformieren.

Der Malprozess wird zum Pendelschlag zwischen Minimalismus - das scheinbare „Nichtstun“ oder „Entstehen lassen“ mit flüssigen Farbschüttungen- und dem Zulassen von verspielt wuchernden Formen, die mit dem Geist und der Energie des Barock und Rokoko spielen.

Materialimitationen und Irritationen spielen hierbei eine wichtige Rolle. Seit geraumer Zeit hat Reifenberger dafür Kupfer, Aluminium, Phosphor, Schwefel und Neonpigmente in ihre Arbeitsprozesse eingebunden. Papier wird so zu Metall, Stein, Erde, Luft, Wolke, zu einer volatilen Stofflichkeit.

 

 

 

Over many years of observing natural phenomena, Christine Reifenberger has developed a visual language marked by intensive engagement with the cyclical, with growth, and with dissolution.

 Fleeting movement coalescing into painting ensures that light, gesture, space, and materiality make up the dominant aspects of Reifenberger’s work. She „moves“ the paper together with paint, creating a piece out of a single moment: action derives the work from color and form. The painter’s process makes fragments and sculptural images out of works on paper. Destruction and disintegration of the paper is taken in stride; dissolution itself becomes a formal element in the painting. Through twists, turns, and folds, paper becomes objects. Painting becomes the very form of its  materials, a fixed moment of transition — apparently ever ready to move again, to break apart, or to transform.

Reifenberger’s painting oscillates between minimalism — an approach of apparent passivity and lassitude toward fluid colors — and a spritely readiness to shape voluptuous forms that approach the energy and élan of the Baroque and Rococo. The limitations and irritations of material play an important role, embodied in the copper, aluminum, phosphorus, sulfur, and neon pigment that Reifenberger has long incorporated into her process. Through that process, paper transforms into metal, stone, earth, air, cloud — into a volatile materiality.

 

 

 

Sabine Elsa Müller 2015
Katalogtext ‚Morph’ Strzeleckibooks Verlag, Köln

 

 

 Es liegt ein Geheimnis in der Malerei. Keiner, der sich mit Malerei beschäftigt, wird das bestreiten, am allerwenigsten die Maler selbst. Aber auch die Theoretiker machen sich auf die Suche nach Erklärungen für das Vermögen der Malerei, aus toter Materie eine eigene Realität zu erschaffen. Selbst Hegel spricht in seinen Vorlesungen über die Ästhetik von „Magie“, die er in der „Wirkung des Kolorits“ und der „Zauberei des Farbenscheins“ verortet. Es ist die Farbe, in der das Bild aus sich heraustritt und zu einem lebendigen Wesen wird. Nach Hegel liegt im „milden und saftigen Leuchten der Farbe ein Schein der Beseelung, welcher die Magie des Kolorits ausmacht und dem Geiste des Künstlers, der dieser Zauberer ist, eigens angehört“.1 

 

Der wesentliche Kern der Malerei lässt sich weder an messbaren Farbwerten festmachen, noch als fest umrissene Größe fassen. Er zeigt sich nur in der persönlichen Betrachtung und ist weder wiederhol- noch teilbar. Allenfalls Hegel, in seiner unvergleichlichen, ihm eigenen Diktion, findet passende Worte für ein Phänomen, das sich der Beschreibung wesentlich entzieht: „Im allgemeinen lässt sich sagen, dass die Magie darin besteht, alle Farben so zu behandeln, dass dadurch ein für sich objektloses Spiel des Scheines hervorkommt, das die äußerste verschwebende Spitze des Kolorits bildet, ein Ineinander von Färbungen, ein Scheinen von Reflexen, die in andere Scheine scheinen und so fein, so flüchtig, so seelenhaft werden, dass sie ins Bereich der Musik herüberzugehen anfangen.“2 

 

Was Hegel in diesem mit Blick auf die altniederländische Malerei entstandenen Text hervorhebt, die Flüchtigkeit der Farbe, die Loslösung von der Fläche bis zur Entmaterialisierung und Verwandlung in sphärische Dimensionen, lässt sich mühelos auf die Arbeiten von Christine Reifenberger übertragen. Ihre Malerei kommt ganz aus diesem lebendig Bewegten. Bei ihr „sitzt“ eine Farbe, ein Rot, ein Schwefelgelb oder Neon-Orange niemals als isolierter Akzent auf der Fläche. Die Farbe ist Teil eines permanenten Prozesses. In steter Veränderung, schwebend, sich bildend und wieder auflösend, kommt sie von irgendwoher – aus der Tiefe, durch die sie sich Dank der Reinheit der Pigmente hindurcharbeitet; aus der Höhe, als wässriges Element, ein Liniengespinst, das sich als feines Rinnsal über die Fläche bewegt und darüber hinaus, seinen Weg auf dem Atelierboden weiterverfolgend bis es versiegt. Die Farbe kommt und geht. So kann sie sich mit anderen Farben mischen, sich verbinden – oder das Darunterliegende lösen, durch ihre Strahlkraft oder aber auch fahl und pigmentarm dagegensetzen, sich absondern mit der feinziselierten Grafik ausblühender Ränder. Aber nicht nur die Farbe, auch der Bildträger kann bewegt, umgedreht und schließlich plastisch geformt werden. Immer wieder wird bereits Vorhandenes zurückgedrängt, anderes, neues kommt hinzu, wird untergegraben und lagert sich ab als Humus, der die Energie liefert für den nächsten Impuls. 

 

Das Bild ist eine Oberfläche, die das räumlich und zeitlich sich vollziehende Bildgeschehen transzendiert als farbgesättigte wie transparente, lichthafte wie verdichtete, belebte wie befreite, unendlich nuancierte Malerei. Die Eigendynamik der einzelnen Farbwerte wird durch eine durch alle Schichten pulsierende Interaktion potenziert, so dass sich in jedem Quadratzentimeter ein summender Vielklang bildet, der sich verändert und wächst, je länger sich der Blick in ihn hinein vertieft. Wird eine Leuchtfarbe mit dunklen Tönen gebrochen, scheint es manchmal, als würde das Bild mit diesen gegensätzlich gepolten Informationen aufgeladen wie eine Batterie, um von innen heraus zu leuchten – mit zunehmender Intensität.  

 

Diese Erfahrung der Verlebendigung von augenscheinlich toter Materie – Farbe – durch die Hand des Malers kann tiefe Emotionen hervorrufen. Hegels „äußerste verschwebende Spitze“ kann sich von ihrer Bindung an den Träger lösen und als immaterieller Farbschein eine enorme Kraft entwickeln, die den Betrachter geradezu umwirft. Umgekehrt kann das Sehen auch in ein hochsensibles taktiles Empfinden umschlagen, als ob die Augen Fingerspitzen hätten. Immer wieder sind es neue, bisher unbekannte Erfahrungen, die das Bild im Betrachter erzeugt. Aber die Energien, die im Bild latent vorhanden sind und in der Betrachtung freigesetzt werden, gelangen durch die Offenheit und Durchlässigkeit des Malers für das Zusammenwirken der Kräfte dort hinein. 

 

Reifenbergers Beschreibung ihrer Selbstwahrnehmung als Medium für die Eigendynamik der Farbe, das Wachsende, Wuchernde, Fließende erinnert auf frappante Weise an Jackson Pollocks Anmerkungen zu seinen drippings. Seine Behauptung „Ich habe keine Angst, Änderungen vorzunehmen, das Bild zu zerstören usw., weil das Gemälde ein eigenes Leben hat. Ich versuche, es hindurchkommen zu lassen“3 lässt sich mit ihrer in einem Gespräch mit Volker Kahmen geäußerten Bemerkung „(…) eigentlich müsste sich das Bild selbst malen“4 umstandslos fortsetzen. Auch Pollock identifiziert sich mit der Natur als Schöpferin der Malerei, indem er die „Selbstaktivierung der Farbe als ein Produkt der Personalunion des Künstlers mit der Künstlerin Natur“ erscheinen lässt, so dass die „Scheidung von Natur- und Kunstbildern aufgehoben“ ist.5  

 

Bemerkenswerterweise führt diese Aufhebung der Unterscheidung zwischen Natur und Kunst bei Christine Reifenberger tatsächlich in einem kühnen Akt der Entgrenzung zur Zerstörung des Bildes. Der Drang der Farbe, sich vom Träger zu lösen und Kontakt mit dem Raum aufzunehmen, scheint schon in ihrer extremen Verflüssigung intendiert, so dass sie tendenziell anstatt sich mit dem Bildträger zu verbinden, sich von ihm weg bewegt, aus dem Bild heraus. Die andere Triebfeder zur Überwindung der Fläche findet sich in der besonderen Bedeutung einer naturnahen, an elementaren Prozessen wie Wachstum, der Fließbewegung von Wasser, den Formationen fliegender Wolken etc. geschulten Formensprache. In ihrem Expansionsdrang greifen die Malereischichten den Träger an, so dass sich im Falle von Papier Löcher bilden können und ein Auflösungsprozess einsetzt. Die schiere Energie der Farbe und Formen treibt sie aus sich selbst heraus und lässt das Bild in Skulptur übergehen, während gleichzeitig das Vegetabile als Bildagens einem eigenen Körper zustrebt.  

 

Der Farbträger wächst wie ein plastisches Organ in den Raum. Nach Gilles Deleuze potenziert er sich durch den Vorgang der Faltung auf dreifache Weise, wie Deleuze in seiner erhellenden Studie über die Rolle der Falte in der Kunst ausführt.6 Einmal lässt sich dadurch ein Maximum an Oberfläche mit einem Minimum an Volumen verbinden, zweitens steigert sich die Intensität und drittens die Inhärenz, die etwas unzugänglich und dadurch geheimnisvoll macht. In Analogie zu den barocken Draperien löst sich in Reifenbergers dreidimensionaler Malerei die Farbe als „losgelassene Formen“ von der strengen Bindung an die Fläche, so dass in ihr „das Form- und Wirkgeschehen autonom ausagiert wird.“7 Das Bild ist über sich hinausgetreten, und zwar in doppelter Hinsicht, wahrnehmungsphänomenologisch und faktisch, um als Natur in anderer Gestalt fortzuwirken. 

 

 

1)    G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik (1835 – 1838), I. Die Malerei, 2. Besondere Bestimmtheit der Malerei, b. Nähere Bestimmungen des sinnlichen Materials, ßß) 9. Absatz2)   

 

2) ebd.

 

3)    „I have no fears about making changes, destroying the image, etc., because the painting has a life in its own. I try to let it come through“, (zit. nach: Lachman, Charles, “The Image made by Chance” in China and West. Ink Wang Meets Jackson Pollock´s Mother, in: The Art Bulletin, Bd. LXXIV, 1992, Nr. 3, S. 508), aus: Horst Bredekamp, Theorie des Bildakts, Berlin, 2010, S. 270

 

4)    „aus einem Gespräch“, in: Christine Reifenberger, Kat., Nürnberg, 2007, S. 31

 

5)    Horst Bredekamp, a.a.O., S. 321

 

6)    Gilles Deleuze, Die Falte. Leibniz und der Barock, Frankfurt a.M., 1995

 

7)    Horst Bredekamp, a.a.O., S. 316  

 

 

 

Aus einem Gespräch
Volker Kahmen, Museum Insel Hombroich, 2007 mit Christine Reifenberger

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Christine, was passiert eigentlich, wenn Du im Atelier bist? Du fängst an und willst Dir ein Bild vornehmen. Hast Du, wenn Du beginnst, im Kopf schon eine Verarbeitung von Ideen, die sich in letzter Zeit bei Dir angesammelt haben? Es gibt ja bei Dir zwei Ansätze, die Zeichnung, die Malerei auf Papier und das Arbeiten auf einem festen Bildträger, der Leinwand.

 

Da ich den Einstieg wieder einmal gerade hinter mir habe, kann ich das jetzt ganz gut beschreiben. Im Atelier entwickelt sich die Arbeit auf der Leinwand aus Zeichnungen und Malereien auf Papier. Das ist für mich ein Einstieg, der am fruchtbarsten ist. Ich kann gleich auf die Leinwand gehen, wenn die Pause nicht zu lange war und ich im Prozess geblieben bin. Aber um in den Prozess wieder hineinzukommen, beginne ich mit der Zeichnung. Durch ihre seismographische Unmittelbarkeit zum Empfinden und Erkennen ermöglicht sie mir die experimentelle Beweglichkeit, um neue Schritte einzuleiten. Und so habe ich auch gerade mit dem Zeichnen begonnen. Mir waren im nahe gelegenen Park oder in den Vorgärten einige vegetabile Gebilde aufgefallen. Manche Eindrücke halte ich auch fotografisch fest, die ich wie Skizzen behandle. Das Überraschende daran für mich ist immer: es genügt oft eine einzige Skizze, um dann im Atelier eine bildnerische Auseinandersetzung in Gang zu bringen. Dem geht ein inneres und äußeres Umherschweifen voraus, ein „Herumstrawanzen“, eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, eine Offenheit, mit der Phänomene des Sichtbaren auf mich zukommen.

 

Aber jetzt ganz entscheidend, du schweifst durch was auch immer, durch eine Situation, und in der hältst Du etwas fest, Du entdeckst etwas. Der Zufall führt Dich auf etwas hin und da hakst Du ein.

 

Bei meinen Spaziergängen greift plötzlich etwas, wie ein Zahnrad, das sich einklinkt, und das benutze ich dann.

Was ist das genau? Du greifst ja während Deiner Beobachtungs- und Arbeitsprozesse nur ein Detail, es ist ja kein Gesamtzusammenhang, kein fertiges Bild, nicht das, was man eine Komposition nennt; wie könnte man das fassen?

Es sind eigentlich Strömungen oder Felder, die sich ausbreiten und ausweiten. Da fällt etwas, steigt, zersplittert oder vernetzt sich, schwebt oder rotiert, flirrt oder verschließt sich in sich, zerfällt.

 

Und diese Strömungen sind auf der einen Seite grafisch, auf der anderen Seite können sie aber auch dynamisch farbig sein; Du bist da nicht festgelegt. Ganz vieles ist bei Dir ja über das Grafische bestimmt, lässt aber die andere Seite, die Farbe zu. Du entwickelst es nicht aus der Farbe heraus, was ja nahe liegend wäre, wenn man bedenkt, dass Du bei Graubner studiert hast, sondern Du gehst eigentlich anders vor. Bei Dir ist das eine Verknotung, eine Verflechtung; es sind Kraftfelder, die ganz häufig, wie Du das beschrieben hast, aus Fallen, Steigen, aus Bewegungen sich entwickeln. Und die sind, wenn Du das aus der Zeichnungsperspektive siehst, ja auch Linienfelder,

 

... die sich flächig ausbreiten können. Da breiten sich auch Farbsetzungen aus oder sie blühen aus. Aber die Vision entwickelt sich nicht vorwiegend aus der Farbe, sondern setzt sich stark mit Formwelten auseinander. Die Farbe rückt der Form hinterher. Dabei entwickeln sich dann Farbtöne, die an Phosphor, Asche, Staub, Silber, Gold, Moos, Schlamm oder Himmel erinnern; oder immer wieder die ganze Palette der Grautöne. Manchmal ist es auch eine Blume. Hin und wieder möchte ich mich überlisten und benutze eine kräftigere Farbe; aber diese Bilder werden oft wieder zurückgedrängt, bis die Farbe wieder in einem Zustand angekommen ist, in dem ich wieder einsteigen kann.

 

Und dieses Ausblühen der Farbe ist ja stark mit pflanzlichen Zusammenhängen, mit Werden und Vergehen und diesen Bereichen verbunden. Es ist immer ein Realitätsbezug vorhanden, der Dir in der Umgebung, im Umfeld geboten wird. Du entdeckst beim Beobachten und trägst es ins Atelier in Form einer Skizze oder einer Fotografie, wo Du diese Entdeckung, die Du gefunden hast, Dir jetzt aneignest und als Ausgangspunkt für Deine künstlerische Auseinandersetzung benutzt.

 

Im Atelier entsteht ein großes Spektrum an Versuchen, verschiedene Ansätze, wie ich an dieses Phänomen herankomme, das ich umahne und umkreise. Und da kann es passieren, dass ich in überraschende Welten hineinkomme, die mit diesem Foto oder der Skizze schon lange nichts mehr zu tun haben.

 

Im Grunde schaffst Du einen eigenen Organismus, der jetzt aus seinen eigenen Gesetzen wieder lebendig wird. Den Du mal auf das Papier, mal auf die Leinwand bringst, was wieder einen anderen technischen Umgang fordert, als Zeichnung, als Aquarell, welches Medium auch immer Du benutzt. Das sind ja Dinge, die noch hinzu kommen. Und die helfen Dir, einen Organismus zu bilden, der letztlich den Anschluss gefunden hat in einer Beobachtung.

 

Die sinnliche Erfahrung liefert mir den Formenkanon, aus dem ich meine Vorstellungen herausarbeite. Dieser Reichtum, den ich in der Natur beobachten kann, den kann ich mir nicht ausdenken. Damit breche ich auch immer wieder aus der Sphäre meiner eigenen Hervorbringungen aus.

 

Das ist ja bei Dir das Besondere, dass eigentlich jeder Versuch, die Dinge zeichnerisch oder malerisch festzuhalten, selbst wenn es auf dieser einen Entdeckung basiert, immer wieder einen neuen Ansatz findet. Du sagst ja auch, dass Du keine Wiederholung, keine Reihe produzieren kannst und willst. Das ist eigentlich ja das Übliche; jemand macht einen Fund, und der wird ausgebeutet. Aber Du näherst Dich dieser Entdeckung, versuchst Dich von den verschiedenen Seiten zu nähern, und damit haben die Dinge zwar miteinander zu tun, man sieht ja auch, sie sind in einer Phase entstanden, aber jeder Organismus hat wieder seinen eigenen Ansatz. So sehe ich das, wenn ich Deine Arbeiten betrachte.

 

Das Aufspüren von Entdeckungen, die den Weg frei machen können zu weiteren Schritten, ist für mich die größte Motivation.

 

Und das Ganze ist ein organischer Prozess, der bei Goethe als morphologisch beschrieben wird. Die Gestaltkunde und was sie mit einem selbst, mit den eigenen Strukturen zu tun hat, die Du in der Natur wieder entdeckst und die Du deshalb auch wieder als selbstständigen Organismus in Deinem Medium bannen kannst.

 

Das ist wie eine innere und äußere Strömung. Kommt von mir, geht raus in die Natur und kehrt wieder zu mir zurück, indem sich daraus ein bildnerischer Prozess entwickelt. Für mich befinden sich meine Bilder immer in Durchgangsstadien. Das wichtigste ist, was ergibt sich aus diesem oder jenem Versuch, wo könnte das hinführen, nehme ich das an oder verwerfe ich es? Oft zeigt mir ein ungeklärtes Bild etwas, das sich erst später auf einem anderen Bild zu einer Aussage verdichten lässt.

 

Das erklärt dann auch den jeweils neuen Ansatz. Aus der Empfindung des eigenen lebendigen Organismus entdeckst Du Dinge in der Natur. Es ist eine zweite Natur, die Du erschaffst, wiederum wie ein Organismus, der aus sich selbst besteht.

 

Und das geht auch ins Kristalline, in die Auflösung ins Molekulare oder allgemeiner in die Verwandlung zu organischen Formgefügen hin. Die entstehenden Bildwelten werden auf der Leinwand immer wieder transformiert. Dabei untersuche ich Prinzipien, Zusammenhänge, Übergänge, Vertauschungen und Verwandlungen. Die Gebilde streifen in den Grenzbereichen zu Bewusstseinsströmungen, zum Traum, bis hin zur grotesken Phantasie. Das hat mich in die Welt von Altdorfer, Seghers und Runge geführt, um nur einige zu nennen; aber auch in die Welt der barocken Energie des Tiefenraums, der Arabeske und der Musik. Meine Umsetzung arbeitet mit Rhythmisierungen und Klangvorstellungen im Raum. Der Bildgrund hat dabei eine frei schwingende, klingende, räumliche Dimension und geht mit den Gebilden oder Strömungen eine enge Verzahnung ein. In meiner Vorstellung können sie Salto schlagen, schweben oder tanzen. Ich befinde mich dabei zwischen den Polaritäten: Formausbreitung und Reduktion, Entstehenlassen und Eingreifen, zwischen der „gesetzlosen“ Geste und deren Objektivierung. In meinen Bildern untersuche ich diese Pendelbewegungen.

 

Ich möchte noch gerne an etwas anderes heran, und zwar, dass wir genauer über das Gestalten sprechen. Denn es fängt ja bei Dir etwas an, wenn Du im Atelier Dich in den Arbeitsprozess gebracht hast über Zeichnungen und Fotografien. Es kommt zur Formulierung eines Bildes auf Leinwand. Dies ist ja eine ganz große Herausforderung und fängt an mit dem Format. Wie kommt es eigentlich dazu, welches Format Du benutzt, ob ein schmales, quadratisches, großes oder kleines, oder hast Du ein ganzes Sammelsurium von Formaten um Dich herumstehen, und dann greifst Du Dir eines.

 

Ähnlich wie beim Papier auch, das ich ja unmittelbar auf das erwünschte Maß reißen kann, ist es bei der Leinwand so, dass tatsächlich eine ganze Menge von Formaten vorhanden ist, so verfügbar wie das Papier.

 

Dann wird das auch sehr viel verständlicher, dass Du tatsächlich Bildträger so benutzt, dass es gleichgültig ist, ob es sich um Papier oder Leinwand, oder was auch immer handelt. Das wird damit deutlich, weil ich ja von anderen Künstlern kenne, dass gerade wenn man sehr gezielt auf ein Bild hinarbeitet, man zunächst ein Format im Kopf hat. Und Du hast die Verfügbarkeit der verschiedensten Formate.

 

Die Sachen hängen oder stehen teilweise an der Wand, sie liegen am Boden, sie sind um mich herum, alle diese Formatgrößen, die angefangenen Bilder, die noch nicht angefangenen, die rohen Leinwände, das ist alles wie eine Palette von Angeboten.

 

Du sagst, da sind rohe Leinwände aber auch angefangene. Was heißt angefangene? Du hast sie irgendwann gewählt, begonnen und aufgehört. Und jetzt ist die Frage, wie wird das weitergesponnen, wenn Du auf so etwas zurückgreifst. Es ist ja nicht so, dass Du jetzt sagst, ich habe dieses Bild angefangen, jetzt muss ich das Bild fertigmalen. Oder, ich weiß jetzt nicht weiter, deshalb lasse ich es erst mal stehen und irgendwann mache ich dann weiter. Kann sich das völlig verändern, wenn Du da wieder ansetzt? Oder benutzt Du das, was einmal formuliert ist, als Ausgangspunkt für etwas, was du weiterspinnst?

 

Ich benutze es als Humus, einen Boden, der schon bearbeitet ist, aber das Vorhergehende muss zurückgedrängt werden.

 

Also das klingt wirklich ungeheuer gartenmäßig.

 

Ja, ...( lacht )...

 

Aus dem etwas anderes entsteht, ja, ein anderer Organismus, der darum auch leichter wächst.

 

Dieses schon Bearbeitete hat schon eine Energie, da schillert etwas hervor, es existiert schon etwas. Ich muss es mit Schichten, die ich darüberlege, zurückdrängen, manchmal bis zur unversehrten, zur papiernen, zur fast unberührten Fläche. Ich kann es meistens vorher nicht weiterspinnen.

 

Du drängst es zurück, und ein neues Bild wächst über diesem Humus. Und das treibst Du jetzt auch sehr weit bis zu dem Punkt, dass Du es als beendet ansiehst. Wie ist das, bleibst Du dann an dieser Sache dran?

 

Meistens sind es Vorgänge, die ich auch vom Zeichnen kenne, es sind unmittelbare Setzungen, die in sich funktionieren müssen. Das bedeutet, es muss eigentlich mit einem einzigen Arbeitsgang zu einem vorläufigen Ende gebracht werden. Wenn das nicht gelingt, muss ich es liegen lassen und weiter beobachten.

 

Und dann ist es nicht in diesem Atem, oder wie man das nennen will, entstanden oder als Organismus konnte es sich nicht entfalten.

 

Manchmal ist es tatsächlich dieser eine umfassende Akt; ich habe oft die Vision, mit einem einzigen Pinselschlag das ganze Bild zu malen. Würde ich gerne so machen, ...(lacht)...,     eigentlich müsste sich das Bild selbst malen.

 

Da tritt auch Deine Affinität zum Kalligraphischen in Erscheinung, zu China und Japan auch zum Zen Buddhismus. So könnte man tatsächlich sagen, dass sich das gelungene Bild aus einem Ansatz entfaltet.

 

Es geht in diese Richtung, aber oft sind es komplexe Arbeitsverläufe, in denen ich parallel anverschiedenen Bildern gleichzeitig arbeite. Es müssen sehr schnell Entscheidungen getroffen werden, zum Beispiel noch einmal ins Nasse hineinzugehen oder der Farbe bis zu einem bestimmten Punkt freien Lauf zu ermöglichen oder die Setzung trocknen zu lassen, um später weiterzugehen ... ein endloses Spektrum von Beobachtung und Auswahl malerischer Phänomene. So erforsche ich intensiv das Eigenleben der Form, der Farbe, der Kohle, des Pinsels, des Materials an sich.

 

Die Setzung beginnt ein Eigenleben zu führen, aber kontrolliert von Dir, Deiner Intention. Man könnte ja fast sagen, dass dieses Phänomen Dich mitnimmt. Du befindest Dich in einer sehr vielschichtigen Welt. Dein großer Vorzug ist es, dass Du Deine Bildwelt offen und beweglich hältst, jenseits aller festgelegten Rezepte. Die Eigenheit Deiner Arbeiten ermöglicht Dir diese Freiheit. Das ist wohl das Beste, was man von einem Künstler sagen kann, dass er so stark greifbar ist in jedem beliebigen Teilstück seines Werks, weil er in all seinem Tun sich selbst auf der Spur bleibt.

 

 

 

Excerped from a conversation
Volker Kahmen, Museum Insel Hombroich, 2007 with Christine Reifenberger

 

 

Christine, what actually happens when you’re in your studio? You settle in, and you want to get a painting underway. When you begin do you already have some ideas processing in your mind; ideas that have come together for you beforehand? You have two groups of work: the drawings, or the works on paper; and the work on more permanent ground, the canvas.

 

Since I have the beginnings of a project only just behind me right now, I can describe the process for you quite well: in the studio, my work develops on the canvas from drawings and paintings on paper. For me this is the most fruitful way of launching a project. I can go straight to the canvas when I haven’t taken too long a break and have stayed “in process”; but when I have to get back into the process of working I begin with a drawing. The seismographic immediacy of drawing brings me into experimental flexibility; I sense and recognize things that lead me to take new steps. And so I began with some drawings just now: I noticed a few vegetal forms in the nearby park, or the front garden. I capture some impressions in photographs and then treat them like sketches. The surprising thing for me is always that it often takes only a single photograph to set a painterly process in motion in the studio that essentially takes the image apart. An inward- and outward wandering comes out of it, a kind of leaping around – one of my favorite occupations… – a receptiveness, through which visible phenomena come to me.

 

So the decisive point is that you always work your way through something, through a situation, and in it you find something to hold onto – you discover something. Chance leads you somewhere and you dive in.

 

I latch onto something suddenly during my walks – like a cogwheel – and then I use it.

 

So what is it exactly? In your observation- and working process you seize on only a detail – no full figure, no finished picture, nothing that one would call a “composition” – how can one understand that?

 

It’s actually more like currents or fields that broaden and expand. Here something occurs, it grows, it fragments or links itself up; it wavers or it rotates, it shimmers or closes in on itself; it collapses.

 

And these currents are graphic on the one hand, and on the other they are dynamic colors - you are not tied down there. A great deal of your work is based on the graphic but gives access to the other side, to color.   You don’t develop it from color – which would be logical when one remembers that you studied with Graubner – you take a different approach instead. For you artistic process is a tying-together, a braiding; it is working with force fields that often, as you described it, develop from events, escalations, and movements. And these are also fields of line, when you see this from the drawing-perspective.

 

… [lines] that can spread themselves over the picture plane. Color strokes do this too, they bloom. But my vision of a piece does not develop primarily from color; it is instead strongly derived from the worlds of form. The color backs up the form; from there come also then the color tones reminiscent of phosphorus, ashes, dust, silver, gold, moss, mud, or sky – or for that matter the whole palette of grey tones. Sometimes that is also a flower. Now and then I want to outwit myself and use a stronger color, but these pictures are toned down afterwards, until the color returns to a place where I can get back into it.

 

And this blooming of color is strongly bound up with plantlike connections to becoming and decaying, these ideas of waxing and waning. There is always a tie to reality that comes in from your environment, your surroundings. You make discoveries through observation and bring them into the studio in the form of a sketch or a photograph, where you take the discovery that you made and use it as a launching point for your artistic formulations.

 

A wide spectrum of attempts and various approaches to these phenomena takes place in the studio: I circle around them and sense them from different angles. And then it can happen that I enter into surprising worlds that have nothing at all to do with the original photo or sketch anymore.

 

In effect you create an individual organism that comes to life according to its own laws. You bring it sometimes to paper, sometimes to canvas, which again calls up different technical associations like drawings, watercolors, depending on your medium. These are accompaniments, and they help you to figure an organism that had its origin in observation.

 

Sensory perception provides me with the canon of forms from which I build my ideas.

I can never exhaust the wealth I can observe in nature. With it I can always break away from the sphere of my own imagination.

 

That’s really the particular quality in your work – that every attempt to capture things in drawing or painting always results in a new formulation, even when it is itself based on a fresh discovery. You’ve said, indeed, that you cannot and do not want to produce any series or reproductions. That is the conventional way of advancing: someone discovers a goldmine and exploits it. But you move in on this discovery, you try to approach it from various angles, so that your pieces are of course related to one another – one sees that they derive from the same phases – but every organism has its own beginning.

 

The greatest adventure for me is to scent the trail of a new discovery that leaves the way free for new advances, then to follow it with charcoal or the brush.

 

And the whole is an organic process, as it was morphologically described by Goethe. The lore of forms and what it has to do with individual structures that you find in nature, but that you nevertheless can avoid portraying as independent organisms in your medium.

 

That is also like an inward- and outward-moving current. It comes from me, goes out into nature and returns — out of this an artistic process emerges.

 

That explains the ever-new beginnings. From the perception of individual living organisms you discover things in nature. You create a second nature, another organism, that originates in itself.

 

And that also goes for the crystalline, in the dissolution into molecules or, more generally, in the evolution into structural forms. The resulting worlds of images are always transformed on the canvas. I investigate principles, continuities, links, changes and exchanges. The figures partly become streams of consciousness on paper or canvas. They find themselves bordering on dreams, the surreal; grotesque fantasy as well. That has lead me into the world of Altdorfer, Seghers and Runge, to name only a few; but also into the world of baroque energies in deep space, the world of arabesques, and the world of music. My transcriptions work with rhythm and the imagination of sound in space. With a strong tie to examples in nature, I feel in my studio like a free custodian of color and form. The picture field has a free-flowing, sounding, spatial dimension and tightly interlocks with the forms and currents. In my imagination it turns somersaults, hovers and dances. I find myself there between two polarities in the expansion and reduction of forms, intervening or allowing development, caught between the lawless, subjective gesture and its objectification. In my pictures I explore this oscillation.

 

 

 

 

 

I would like now to ask something else, namely, that we speak more specifically about your formal design, since something clearly happens for you when you have brought yourself into working process in your studio through drawings and photographs. You come to formulate an image on canvas. This is of course a great challenge and begins with the question of size. How do you come to use a particular size canvas — narrow, square, large, small — or do you have a great array of different-sized canvases around you so that you can simply grab one?

 

It is just the same as with paper, which I can immediately tear to the right size: I actually do have a whole assortment of canvases available for use as readily as paper.

 

Then it becomes much more understandable that you use supports in such a way that it really doesn’t matter whether you are working with paper or canvas. It becomes clear, as I know from other artists, that just when one begins to work very intensively on a picture one finds one has a size in mind. And you have the widest range of sizes available to you.

 

The things hang or stand sometimes on the wall, lying on the floor: they’re all around me, all these various sizes of pictures in process, not yet in process, raw canvases — it’s all like a palette of possibilities.

 

You say that there are raw canvases but also pictures in process. “In process” implies that you have chosen to develop them at one point, begun them, and left off. So then comes the question, how do you spin these out further when you return to them? It is certainly not the case that you’ll now say, “I’ve started this picture and I must finish it.” Or, “I don’t know any more about this one just now, so I will let it stand for the moment and sometime pick it up again.” Can’t they fully change when you pick up where you left off? Or do you use what is already formulated as a starting point for something you’ll spin farther?

 

I use them as a humus, a base that is already worked on, but the earlier material must always be pruned back.

 

Well, that sounds very much like work in a garden.

 

-----------laughs-------------

 

So from these pictures something evolves, another organism, that thanks to this actually grows simpler.

 

The already-begun has an energy, and so something shines from it, something is already there. I have to prune it back with coats that I layer over it, sometimes to the integral state, the paper-state, almost to an untouched surface. I usually cannot spin it further before that.

 

You prune it back and a new picture grows atop this humus. And this drives you far toward the point when you will consider it finished. How does this happen — do you stay then with this case?

 

Mostly these are cases that I also know from drawings; there are immediately placements that must work in themselves. That means that these pieces must actually be brought by their own processes to an interim end. When this doesn’t succeed I have to let them sit and look at them further.

 

And then it wasn’t born in that breath, or however you would say it; it could not unfurl as an organism.

 

Often it is actually this sweeping act: I often have the vision of an entire painting with just one brushstroke. I’d love to do it this way………laughs………….actually the picture has to paint itself.

 

This brings up your apparent affinity for the calligraphic — for China, Japan and Zen Buddhism. One could actually say that the successful picture unfurls from a beginning attempt.

 

It runs in that direction, but often it’s a complex course of work in which I’m involved with several different pictures in parallel, at the same time. I must make decisions very quickly: for example, whether to continue on the canvas that is not jet dry, or to allow a color to run free up to a certain point, or to let the setting dry in order to go farther later… an endless spectrum of observations and choice between painterly phenomena. I investigate very closely the individual life of forms, colors, charcoal, brushes — the materials in and of themselves.

 

The setting begins to lead its own life, but under the control of your intentions. One could practically say that this phenomenon carries you along with it.

            In my opinion you find yourself in a multilayered world. Your great virtue is that you hold your image-world open and flexible, regardless of all established conventions. The individuality of your work makes this freedom possible for you. That is likely the best that one can ever say of an artist: that he is so strongly tangible in each and any portion of his work because he always seeks to express his own personality.